In der letzten Zeit häuften sich die Meldungen zum Zustand der Ostsee und den aktuellen Fangquoten. Wir als Anglerverband Hamburg e.V. möchten die Entwicklungen hier einmal für euch zusammenfassen.
Fangquoten
Die Fangquoten werden jedes Jahr durch den Ministerrat der EU bestimmt und nach einem festen prozentualen Schlüssel auf die einzelnen Mitgliedsstaaten aufgeteilt. Die Bestimmung der Quoten erfolgt auf Basis von Empfehlungen, die vom „International Council for the Exploration of the Sea“, kurz ICES, an die EU-Fischereikommission abgegeben werden. Diese Kommission gibt wiederum eine Empfehlung an den Ministerrat ab, der dann endgültig die Quoten festlegt. Die deutschen Fangquoten für die Ostsee der vergangenen Jahre sowie für das nächste Jahr können in Tabelle 1 eingesehen werden (Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft). Jedoch wurden die Fangquoten in der Vergangenheit regelmäßig über den jeweiligen von der Wissenschaft empfohlenen Grenzen angesetzt. So wurde beispielsweise für das Jahr 2004 vom ICES eine EU-weite Höchstmenge von 13.000 Tonnen Dorsch in der östlichen Ostsee empfohlen. Von dem Ministerrat wurden daraufhin 45.000 Tonnen als Quote festgelegt – gefangen wurden dann allerdings sogar 70.000 Tonnen. Im Folgejahr wurde daher von der Wissenschaft empfohlen, in der östlichen Ostsee garkeinen Dorsch zu fangen – der Ministerrat entschied sich jedoch für eine Quote von 45.800 Tonnen. Solche Diskrepanzen zwischen den Empfehlungen der Wissenschaft, den schlussendlich festgelegten Quoten und den real erzielten Fängen waren in der Vergangenheit leider keine Seltenheit. In den letzten Jahren geschieht dies allerdings immer seltener, und die festgelegten Quoten sind mittlerweile viel strikter an den wissenschaftlichen Empfehlungen ausgerichtet.
Seitdem die Fangquoten der „Brotfische“ der Ostseefischer, Hering und Dorsch, zuletzt für 2019 angehoben wurden, sinken die erlaubten Fänge stetig. So sank beispielsweise die Quote für den Dorsch in der westlichen Ostsee seit 2019 um mehr als 95%. Die Bestände von Dorsch und Hering sind inzwischen so weit zurückgegangen, dass sie nicht mehr gezielt befischt werden dürfen, sondern nur noch als erlaubter Beifang angelandet werden. Die Ausnahme bildet hierbei weiterhin die kleine Küstenfischerei mit passiven Fanggeräten wie Stellnetzen und Reusen auf Hering in der westlichen Ostsee. Von diesen Fangquoten sind allerdings nicht nur die Fischer betroffen, sondern auch wir als Angelnde, da auch wir einen gewissen Einfluss auf den Dorschbestand haben. So wurde 2017 erstmalig ein „bag limit“ für Ostseedorsch bestimmt, das festlegt, wie viele Dorsche man als Angler*in entnehmen darf. Mittlerweile liegt dieses bei einem Dorsch pro Tag und Person.
Gründe für den Zusammenbruch der Bestände
Die Fischbestände der Ostsee, vor allem die von Hering und Dorsch, sehen sich gleich einer Reihe von Problemen gegenübergestellt. An der Spitze dieser stehen, wie so häufig, der Klimawandel und die Überfischung. Außerdem wurden teilweise die sich ändernden Umweltbedingungen nicht in ausreichendem Maße im Fischereimanagement berücksichtigt und infolgedessen zu viel Dorsch gefangen. Einer wissenschaftlichen Untersuchung von Forschenden der Universität Hamburg, der Universität Kiel und dem „deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)“ Halle-Jena-Leipzig zufolge sei der Dorschbestand in der westlichen Ostsee so stark geschrumpft, dass er einen sogenannten „Kipp-Punkt“ überschritten habe. Den Autor*innen zufolge wird sich der niedrige Bestand durch den Klimawandel auf dem aktuellen Niveau bzw. einem kaum höheren Niveau einpendeln. Eine baldige Erholung des Bestandes halten die Forschenden für unwahrscheinlich. Durch den steigenden Fischereidruck und die sich ändernden Umweltbedingungen können immer weniger Fische brüten, vor allem durch die stetige Erwärmung des Wassers und die Ausbreitung von sauerstofffreien Zonen. Letztere werden vor allem durch Überdüngung und fehlende Einstromereignisse aus der Nordsee verstärkt. Dies stellt die Fische vor zweierlei Probleme: einerseits verringert sich der Raum, in dem die Fische überleben können, durch die Ausbreitung der Sauerstofflöcher stetig, sodass sie teilweise eingekesselt werden und keinen Ausweg mehr finden. Andererseits führen grade die sauerstofffreien Zonen in den Becken der Ostsee dazu, dass weniger Dorschnachkommen produziert werden. Die Eier des Dorsches schweben bei einem bestimmten Salzgehalt. Dieser wird nur dort erreicht, wo ursprünglich aus der Nordsee stammendes, salzreicheres Wasser auf dem Meeresboden der Becken liegt. Durch die Ausbreitung der Sauerstofflöcher herrschen dort allerdings Bedingungen, unter denen die Eier nicht überleben können. Infolgedessen sterben diese ab, und die Nachwuchsproduktion des Dorsches nimmt ab.
Doch nicht nur der Dorschnachwuchs ist von den sich ändernden Umweltbedingungen stark betroffen. Auch der Hering leidet unter ähnlichen Problemen. Untersuchungen des „Thünen-Institutes für Ostseefischerei“ zufolge führt die Wassererwärmung dazu, dass die Heringe früher in ihre Laichgebiete ziehen und deren Larven somit früher schlüpfen. Die Entwicklung der Kleinkrebse, von denen sich die Heringslarven ernähren, hängt allerdings von der Algenproduktion ab. Deren Auftreten und Vermehrung ist jedoch primär lichtgesteuert und verschiebt sich daher nicht. Die Heringslarven verpassen demnach die optimalen Nahrungsbedingungen. Zudem werden die Eier zu einer Zeit von durch Überdüngung und höhere Wassertemperaturen verstärkten Pilz- und Algenwachstums abgelegt, und das Wachstum der Heringslarven wird von höheren Temperaturen stärker eingeschränkt.
Soziale Auswirkungen des Zusammenbruchs der Fischbestände
Der Wegfall der „Brotfische“ der Ostsee, Hering und Dorsch, führt die Ostseefischer in eine existenzbedrohende Lage. Das ist angesichts der dramatisch gesunkenen und weiter niedrig verbleibenden Fangquoten kein Wunder. Die sich verschlechternde Situation schlägt sich deutlich in der Anzahl der noch aktiven Berufsfischer nieder: gab es Anfang der 1990er Jahre noch 1300 aktive Fischer an der deutschen Ostseeküste, so zählte Mecklenburg-Vorpommern 2021 nur noch 330 hauptberufliche Ostseefischer, in Schleswig-Holstein sind es dieses Jahr sogar nur noch 140. Der Bund hat in den letzten Jahren einige Bemühungen angestellt, um die Situation der Fischer zu verbessern sowie den Ausstieg aus der Fischerei zu erleichtern. So gab es neben Abwrackprämien für Fischkutter Ausgleichszahlungen für die gesenkten Quoten sowie Prämien für zusätzliche Liegetage. Doch Entschädigungszahlungen allein können die Zukunft der Branche nicht sichern. So hat der Landesfischereiverband Schleswig-Holstein Ideen gesammelt, mit denen die Fischereibetriebe alternativ Geld verdienen könnten. Dazu gehörten unter anderem Tourismusangebote wie Schweinswalbeobachtungen, Trauungen, Seebestattungen oder auch Sicherungsfahrten beim Aufbau von Offshore-Windparks. Auch das Ändern des Aufgabenfeldes eines Fischers hin zu einem „Förster des Meeres“ sei im Gespräch. So würden von den Fischern dann im Staatsdienst Themen wie Umwelt- und Bestandsschutz, Tourismusangebote sowie die Kultur und das Erbe der Fischerei behandelt werden. Jedoch halten viele Fischer eine solche Änderung ihres Aufgabengebietes nicht für sinnvoll. Es habe ihrer Meinung nach mit ihrem eigentlichen Beruf nicht mehr viel zu tun, sie wollen am liebsten weiterhin lediglich rausfahren und Fische fangen. Doch ob diese Arbeit zukunftsfähig ist, bleibt fraglich.
Verbesserung der Situation
Für Dr. Rainer Froese, leitender Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), liegt auf der Hand, wie man die Ostsee noch retten kann: sofortiger Stopp von Überfischung, Überdüngung und Plastikmülleintrag. Das ist leichter gesagt als getan. Laut Froese müssten einerseits die Fangmethoden angepasst werden, um Beifang zu reduzieren sowie die Auswirkungen der Fischerei auf das Ökosystem zu verkleinern. So könnte man z.B. die Höhe der Netze verringern, um beim Fischen auf Plattfische weniger Dorsche zu fangen. Außerdem könne man Grundschleppnetze, die enorme Auswirkungen auf den Meeresgrund haben, durch Fallen und Ähnliches ersetzen, da durch diese auch selektiver gefangen werden kann. Aber auch die Angelnden müssten mitziehen, sie sollten laut Froese momentan am besten gar keine Dorsche mehr fangen. Und auch die Tourismus- und Restaurantbranche müsse sich beteiligen. Sie sollten informieren, aufklären und nur noch nicht überfischte Arten, wie z.B. Plattfische, anbieten. Aquakulturen bieten für den Fischereiwissenschaftler keine Lösung, sobald Fisch zugefüttert werden muss, da der Bedarf an Fischmehl für die Fischzucht größtenteils durch Wildfang, z.B. Sprotten, gedeckt wird. So oder so müssten alle beteiligten Branchen an einem Strang ziehen, um die Situation in der Ostsee nachhaltig zu verbessern. Wohin der Weg der Ostsee noch führt, ist aktuell schwer vorauszusagen. Dass gehandelt werden muss, steht allerdings außer Frage.
Zum Weiterlesen
- Aktuelle Fangquoten: https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/144-agrarrat.html
- Wissenschaftliche Veröffentlichung Möllmann et al. (2021): https://www.nature.com/articles/s41598-021-93843-z
- Wissenschaftliche Veröffentlichung Scotti et al. (2022): https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmars.2022.879998/full
- National Geographic Beitrag mit Dr. Rainer Froese: https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/10/leeres-meer-das-bedeuten-die-neuen-fangquoten-fuer-die-ostsee
- Informationen zum Heringsbestand der westlichen Ostsee: https://www.fischbestaende-online.de/fischarten/hering/hering-fruehjahrslaicher-westliche-ostsee